ExRotaprint

Akteure vor Ort sind Experten, sie kennen die Potentiale ihrer Umgebung. Initiiert von Künstlern soll ExRotaprint nicht nur ein Ort für Künstler sein. Wir haben es von Anfang an als Herausforderung verstanden, für Menschen mit unterschiedlichen Berufen, unterschiedlicher Herkunft und Geschichte einen gemeinsamen Raum zu schaffen. ExRotaprint vermietet heute zu je einem Drittel Flächen an Arbeit, Kunst, Soziales. Hier arbeiten Gewerbebetriebe, soziale Einrichtungen und Kreative. Es entsteht ein gesamtgesellschaftliches Bild, das sich gegen die Monokulturen aufgesetzter Renditeträume wendet und stattdessen das Miteinander und den Austausch fördert. Wir sind mit einem fortlaufenden Prozess des Interessensausgleichs konfrontiert. Es müssen räumliche, aber auch soziale Optimierungen ausgedacht und besprochen werden, um das Gebilde im Gleichgewicht, effektiv und auskömmlich zu halten. Kommunikation und direkter Umgang sind essentiell.

Realität wird mit kunstverwandten Strategien sozial, wirtschaftlich und kulturell gestaltet. ExRotaprint als soziale Plastik bedeutet eine Dehnung des Kunstbegriffs, der hier nicht als Abbild oder Zitat, sondern als gestaltete Wirklichkeit Form findet und Kunst sein kann, aber nicht muss. ExRotaprint stemmt sich gegen die Ausgrenzungstendenzen von Kultur und Geld.

Die soziale Plastik

Wir entscheiden uns bewusst für Projekte, die mit der Nachbarschaft von ExRotaprint arbeiten. Eine Schule, die von Kurden geleitet wird, unterrichtet Deutsch für Migranten. Ein Beschäftigungsträger arbeitet mit Arbeitslosen und setzt Projekte in der schmalen, nebelhaften Zone zwischen Realwirtschaft und Beschäftigungspolitik um. In der Produktionsschule werden Schulschwänzer an einen geregelten Tagesablauf herangeführt und erhalten die Chance einen Hauptschulabschluss zu erreichen. Die sozialen Einrichtungen garantieren die Öffnung des Geländes für Menschen, die im Bezirk Wedding leben und ein Teil des sozialen Gefüges sind, das den Wedding ausmacht. Abhängig von öffentlichen Geldern und politischen Entwicklungen sind diese Projekte ständig in ihrer Existenz gefährdet.

Musiker, Designer, Schriftsteller und Künstler mieten Büros, Studios und Ateliers. Wir vergeben diese Räume an junge Kreative, die selbst wieder zu Schnittstellen werden können, ihre Bereiche intensiv nutzen und mit ihrer Energie positiv für das Projekt sind. Sie sind extrem gut vernetzt und schaffen sich ihre professionellen Strukturen selbst.

Die Erdgeschossflächen sind für produzierendes Gewerbe vorgesehen. Metallbau, Neopren und Holz verarbeitende Werkstätten, Rahmen und Ausstellungsbau, Siebdruck, Elektriker, Gebäudereinigung und Baugewerbe belegen große Einheiten. In einem Bezirk, aus dem sich Arbeitsplätze in der Produktion verabschiedet haben, sind neue Arbeits- und Ausbildungsplätze zentral für die wirtschaftliche und soziale Stabilisierung des Umfelds.

Das räumliche Nebeneinander von Produktion, Kreativität und Maßnahmen der Beschäftigung ist eine Verschränkung, die sich gegenseitig kommentiert, kritisiert und befruchtet. Unterschiedliche Arbeitsabläufe und ein ungewohnter Umgang mit Zeit stellen die eigene Wirklichkeit in Frage. Das von den Einen als „cool“ bewertete Design irritiert Andere. Sitzmöbel, Aschenbecher, Schilder, Schrift und die Gestaltung der Kantine sind Dinge alltäglicher Begegnung, die unterschiedlich bewertet werden. Zu Themen, die wegen örtlicher Probleme oder anstehender Baumaßnahmen bestimmte Gruppen betreffen, wird zu speziellen Foren eingeladen. Direkte Ansprache ist immer möglich, ExRotaprint hat flache Hierarchien und moderiert Interessen, Vorstellungen und Ideen. Das schafft Verbindungen und fördert die Kommunikation untereinander.

Treibstoff

Die spektakuläre Architektur des Rotaprint Geländes ist Treibstoff und Motivation für ExRotaprint. Das Unternehmen Rotaprint hat in den 50er Jahren den Architekten Klaus Kirsten moderne Bauten an den Bestand aus der Gründerzeit anbauen lassen. Arbeit, Kunst, Soziales trifft in der Raumstruktur der Gebäude auf ideale Voraussetzungen. Die Architektur von ExRotaprint und das Architekturbüro Klaus Kirsten & Heinz Nather sind durch das Projekt in den Fokus der kulturellen Wahrnehmung gerückt. Wir nutzen das entstandene Interesse nicht als Selbstzweck sondern für ein Projekt, das heterogene Zusammenhänge auch fern von Hochkultur aushält und befördert.

Dilemma

Der Berliner Bezirk Wedding ist der Realraum stadttheoretischer Diskurse. Migration, Arbeitslosigkeit und Armut sowie die beginnende Aufwertung und Überprägung vorhandener Strukturen durch die „Kreativen“ und ihre Codes werden in den nächsten Jahren einen Konflikt eingehen, der für viele Städte und Entwicklungen exemplarisch ist. Längst haben Interessensvertreter der Immobilienwirtschaft das Potential von Künstlern erkannt, die parallel mit Linken und Alternativen neue Arbeits- und Lebensräume suchen und als eine Art „Flächendüngung“ in so genannte Problemlagen geleitet werden können. Alle Akteure bereiten die günstigen Wohn- und Arbeitsräume für die nächste Etappe der Gentrifizierungs-Karawane vor. Sie gehören dann mit zu den Ersten, die in die weitere Peripherie gedrückt werden, um den nächsten Stadtteil zu attraktivieren. ExRotaprint wird von der Immobilienwirtschaft in dieser Rolle gesehen und als positiver Standortfaktor bei der Vermarktung benannt. Dieser Tatsache kann man nicht entkommen.

Die Erfahrung, dass der Erfolg von ExRotaprint nur in einem prekären Umfeld machbar war, schafft eine Verbundenheit mit der direkten Umgebung. Wir sehen das Existierende und seine Potentiale positiv und stärken durch unser Nutzungskonzept bewusst die vorhandenen Strukturen. Wir stellen uns die Frage, wie die Prozesse von Verdrängung eingeschränkt und Neues zusammen mit dem Vorhandenem positive Wirkung entfalten kann.